Im Gespräch mit Seniorinnen und Senioren im Ägerital - Serie
Mi Heimat isch’s Ägerital
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Paul Iten im Gespräch mit Brigitte Henggeler, Oberbornacher Oberägeri, November 2025
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Paul Iten (BI): «Wo bist du geboren und aufgewachsen?»
Brigitte Henggeler (BH): «Ich bin in Zürich Wiedikon aufgewachsen, gegenüber der Kirche. Wir Kinder mussten dann immer in die Kirche. Wenn der Vikar aus der Kirche kam, kaufte er uns oft im Tante-Emma-Laden einen Mohrenkopf. Daher bekam er auch den Über Namen «Mohren-Kopf-Pfarrer». Später führten meine Eltern ein Restaurant, wo wir als Kinder immer in der Küche Geschirr abwaschen und auch sonst mithelfen mussten.»
PI: «Hast du noch Episoden aus der Schulzeit?»
BH: «In der Schule musste ich immer in der vordersten Bank sitzen, weil ich eine Schwatzbase war. In der Oberstufe hatte der Lehrer das Pult direkt vor mir. Dieser rauchte dann auch während des Unterrichts. Vor mir lag dann immer sein Päcklein Gauloise Gelb. Der Lehrer drohte uns Schülern immer, falls er einen von uns beim Rauchen erwischen würde, müsste er einen grünen Stumpen vor der Klasse rauchen, bis es ihm schlecht würde. Ein Mädchen meiner Klasse kam oft mit lackierten Fingernägeln in die Schule. Der Lehrer nahm dann sein Sackmesser und befahl dem Mädchen den Nagellack mit dem Messer wegzukratzen. Auf dem Heimweg wurde ich oft von den Mitschülern verfolgt, gehänselt und geschlagen.
Als knapp 15-Jährige trat ich meine erste Stelle als Au-pair im Jura an und musste allein auf ein Zweijähriges und ein 3 Monate altes Kind aufpassen. Zudem musste ich dann die Ölheizung bedienen, damit wir warm hatten. Weil mein Chef nicht fähig war, seine Kleider selbst aus dem Schrank zu nehmen, habe ich mir geschworen, wenn ich einmal heirate, werde ich meinem Mann nie die Kleider zum Anziehen hinlegen. Dies habe ich dann doch getan, aus anderen Gründen.
Mein Oberstufenlehrer hat mir empfohlen, eine Lehre in der Westschweiz zu machen, weil ich leicht Sprachen lernte. So machte ich dann eine Verkaufslehre in einer Metzgerei in Neuenburg. Damals war Französisch die Weltsprache, und man bekam einfacher eine Stelle. Nach der Lehre kam ich wieder in die Stadt Zürich, eben wegen meiner Sprachkenntnisse, an die Bahnhofstrasse zurück. Aber in der Stadt Zürich wurde ich nicht glücklich. Weil ich in einem Restaurant aufgewachsen war, trat ich in Zug eine Stelle im Café Ritz im Service an. Danach wechselte ich zum Café Keiser nur gerade über die Strasse.»
PI: «Wie kamst du dann ins Aegerital?»
BH: «Als dann in Unterägeri der K 3000 (heutige Migros) mit einem Fleischverkauf eröffnet wurde, durfte ich dort einen neuen Arbeitsplatz antreten und wieder auf meinem Beruf arbeiten. Weil ich nicht tanzen konnte, hat mich «s’Mösler’s Vreni» 1977 in die Trachtengruppe Aegerital mitgenommen. Da lernst du es bestimmt, hat sie gesagt. Seit da bin ich in der Trachtengruppe Ägerital und zwischendurch noch bei der Trachtengruppe in Zug. Ich kann mich noch an meine erste Probe, wo ich mit «s’Möösler’s Pauli» tanzen musste, erinnern. In der Trachtengruppe lernte ich auch meinen Mann kennen.1983 heirateten wir, seit da lebe ich im Oberbornacher in Oberägeri.

1983 - Hochzeit (Bild oben) und Oberbornacher (Bild unten)

Als ich 1982 in den Oberbornacher kam, erlebte ich einen Zivililsationsrückschritt: kein regelmässig fliessendes Wasser, keine Dusche, kein Bad, keine Waschmaschine, nur ein Plumpsklo. Ich durfte eine Waschmaschine bei einer Frau Heinrich im Dorf benutzen. Als wir geheiratet haben, durfte mein Mann vor der Hochzeit bei Heinrich’s baden, damit er an seiner Hochzeit «ä Gattig» macht. (Zitat: Frau Heinrich).
Mein Mann war nicht der Wunsch-Schwiegersohn meiner Eltern. Kurz vor der Hochzeit kamen dann meine Eltern noch auf den Hof, damit sie mit ihm noch «Duzis» machen konnten, sonst wären sie an der Hochzeit mit ihm noch per Sie gewesen.

Familie Henggeler 2016
Im Februar 1984 kam dann mein erster Sohn Roman zur Welt. Er hat aber leider nur ca. 30 Minuten gelebt. Das erste Kind zu verlieren, war ein harter Schlag. Toni und ich durften aber nachher mit drei gesunden Kindern (Antoinette 1985, Hanspeter 1987 und Lukas 1990) im Oberbornacher wohnen und arbeiten. Auf meine Familie bin ich sehr stolz!»

Oberbornacher 2020
PI: «Erzähl jetzt noch etwas von deiner grossen Leidenschaft 'Kindertrachtentanzgruppe'.»
BH: «Im Januar 1997 habe ich mit Claudia Henggeler die Leitung der Gruppe übernommen. Leider konnten wir keine Kinder übernehmen und haben die Gruppe komplett neu aufgebaut mit meinen eigenen Kindern und einem fremden. Wir organisierten dann einen Schnuppertag, der bis heute jährlich stattfindet. So ist dann die Gruppe stetig gewachsen. Es gab Jahre, während denen wir mit 36 Kindern, immer Päärli (Bub und Mädchen) auftreten konnten. Die jüngeren Kinder lernen auf spielerische Art einfache Kindertänze und verschiedene Schritte, die älteren Kinder werden mit anspruchsvolleren Tänzen weiter gefördert. Jeder Tanz hat eine geschriebene Choreografie, die wir genau nach Beschrieb tanzen müssen.

Familie Henggeler in der Trachtentanzgruppe 1993
Ab Januar 2005 bis Herbst 2016 leitete ich mit meinem Mann Toni die Kindertanzgruppe und ab Sommer 2016 half Astrid Kälin mit. Das ist eine wunderschöne Arbeit. Ich habe das immer mit Leib und Seele gemacht. Ich achtete immer darauf, dass die Kinder die Trachten richtig und sauber tragen. Zudem müssen die Tänze gut geübt werden, damit die Auftritte auch funktionieren.

Brigitte Henggeler mit der Kindertrachtengruppe 2019
Aber ich merke heute, dass einige Eltern etwas weiter weg von unserer Einstellung und unserem Erziehungsstil sind. Das macht diese schöne Arbeit für mich immer schwieriger. Es ist auch schwieriger geworden, Kinder und Eltern für dieses schöne Hobby und das Schweizer Brauchtum zu begeistern. So hätten wir letztes Jahr einen Auftritt in Gossau gehabt. Es haben 12 Eltern unterschrieben, dass sie ihr Kind mitschicken. Schlussendlich hatten wir nur sieben Kinder. Eine Unterschrift ist heute wertlos. Ich war sehr enttäuscht, dass wir auf diesen Auftritt verzichten mussten. Auch für die Brauchtumswoche im Sportcenter Fiesch, die nur alle drei Jahre stattfindet, kann man heute fast keine Kinder und Eltern mehr begeistern. Obwohl die Schule das Projekt unterstützt und den Kindern einen Dispens geben würde. Die Kinder haben heute sehr viel Auswahl bei Vereinen, mehr als früher.
Trotzdem hatte und habe ich immer wieder Freude, wenn ich mit den Kindern und den traditionellen Trachtentänzen an vielen Anlässen Freude bereiten darf. Die Kinder geben mir unwahrscheinlich viel zurück und ich erlebe sehr viel Schönes mit ihnen. In dieser langen Zeit habe ich sicher schon einige hundert Kinder begleiten dürfen. Und heute sehe ich auch Tänzerinnen und Tänzer bei den Erwachsenen, die bei mir als Kinder begonnen hatten. Dies erfüllt mich mit grossem Stolz und zeigt, dass ich mit ihnen den richtigen Weg gegangen bin.»
Liebe Brigitte
Ich danke dir für das Interview und für deine Offenheit und den Einblick in dein Leben. Ich danke dir aber auch für die Arbeit, mit der du vielen Kindern und vielen Zuschauern Freude bereitet hast. Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und Freude, damit du noch lange ein zufriedenes Leben gestalten kannst.
Beat Iten, Alterskommission Ägerital
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Für die Alterskommission Ägerital
Paul Iten
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